Kirchlicher Appell der Vertreter*Innen Netzwerk Migrationscharta

Wir sind entsetzt über die schnelle Übernahme der Macht über das leidgeprüfte afghanische Volk durch die Taliban. Wir sind sehr besorgt um die drastischen, teilweise tödlichen Folgen, die das für viele Menschen haben wird. Unmittelbar bedroht sind all diejenigen, die sich in den letzten Jahren mutig für ein demokratischeres Afghanistan, für Menschen- und insbesondere auch Frauenrechte, eingesetzt haben. In grosser Gefahr sind auch die durch die Schweizer  Behörden  abgewiesenen und nach Afghanistan ausgeschafften Menschen (denen der Vorwurf der Verwestlichung und Apostasie droht), aber auch  Journalisten*Innen und all die Leute, die mit westlichen Staaten und NGOs zusammengearbeitet haben.

Aber auch ganz normale BürgerInnen – vor allem Frauen und Mädchen – sind akut gefährdet. Es ereilen uns schon verstörende Berichte von Zwangsverheiratungen von jungen Frauen mit Taliban-Kämpfer. Flüchtlinge aus Afghanistan, die wir hier in der Schweiz schon länger unterstützen, erzählen uns davon, dass sich ihre Mütter und Geschwister nicht mehr aus dem Haus getrauen. Seit einigen Tagen ist der Kontakt mit ihnen durch fehlendes Internet nicht mehr möglich. Sie sind in grosser Besorgnis um ihre Liebsten.

Als kirchliches Netzwerk, das sich in der Schweiz unter friedlichen Bedingungen für Geflüchtete Menschen engagieren kann, sind wir besonders betroffen durch diese schlimme Situation, in der eine religiöse Radikalisierung droht, oder bereits im Gange ist. Deshalb fordern wir den Bundesrat auf, nun schnell zu handeln und schliessen uns den Forderungen an, die das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» in ihrem «Offenen Brief zur Lage in Afghanistan» am 16. August veröffentlicht hat.

  1. Alle Personen aus Afghanistan, die sich zurzeit in der Schweiz aufhalten, müssen mindestens eine vorläufige Aufnahme erhalten, und zwar ungeachtet davon, ob sie sich noch im laufenden Asylverfahren befinden oder nicht. Bereits weggewiesene Personen aus Afghanistan haben Anspruch auf eine Neubeurteilung der Wegweisungsverfügung.
  2. Nach dem Vorbild der Aktion für Syrer*innen im Jahr 2013 muss die Schweiz dringend die Erteilung von humanitären Visas für die Familienangehörigen von in der Schweiz lebenden afghanischen Staatsangehörigen erleichtern, unabhängig von deren Aufenthaltsstatus. Diese Möglichkeit sollte dringend auch auf alleinstehende verwandte Frauen und Mädchen ausgedehnt werden, auf Schwestern, Mütter, Nichten, Tanten sowie auf andere besonders verletzliche Familienangehörige.
  3. Der Bundesrat muss in Anbetracht der schrecklichen Notlage eine Nachricht der Solidarität an das afghanische Volk und diejenigen, die sich in Afghanistan für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, übermitteln. Er muss sich zudem auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft für die Aufnahme von afghanischen Geflüchteten einsetzen, in diesem Bereich mit gutem Beispiel vorangehen und ein Kontingent von 10 000 geflüchteten Menschen in die Schweiz aufnehmen.